Am 13. Mai 2024 gründete sich die Grüne Jugend im Herzogtum Lauenburg. Ein Gespräch mit den Vorsitzenden Marcel Marin und Oda von Warburg über ihr Engagement, weshalb sie gerade in diesen Zeiten politisch aktiv sind – und warum auch Kritik an der Grünen Mutterpartei dazugehört.
Die Europawahl ist nun ein paar Wochen her – was ging Euch durch den Kopf, als Ihr die Ergebnisse gesehen habt?
Marcel Marin: Es war erst einmal ein Schock, aber ich hatte das schon erwartet. Schockierend war für mich auch, dass viele junge Wählerinnen und Wähler die AfD gewählt haben. Gleichzeitig haben wir auf unserem Aktiven-Treffen vor ein paar Tagen festgehalten, dass 83 Prozent der Jungwähler anderen Parteien ihre Stimme gaben, und dass die europäische Grüne Fraktion, gemeinsam mit Volt, stärkste Kraft in dieser Wählergruppe bleibt. Das sehe ich grundsätzlich als Bestätigung für unsere Arbeit und die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, wenn auch der aktuelle Regierungskurs viele Menschen abzuschrecken scheint.
Oda von Warburg: Auch für mich war es ein Schock. Ich habe dann erst einmal ein paar Freunde angerufen, und viele fragten: Wie kann das sein? Ich habe das nicht verstanden, auch wenn ich weiß, warum manche ihr Kreuz ganz rechts gemacht haben. Am selben Tag haben wir auch die Infos der Juniorwahl an unserer Schule bekommen. Im Vergleich war ich eigentlich ganz froh, denn an unserer Schule waren es nur wenige, die für die AfD gestimmt haben, die meisten stimmten für die Grünen und Volt. Das fand ich sehr schön.
Wie erklärt Ihr Euch das relativ gute Abschneiden der AfD bei den Jungwählenden?
Marcel: Ich denke, ein wichtiger Faktor ist Naivität und fehlende Bildung. Viele denken, die AfD sei nur der Gegenspieler zur Ampelregierung, und sie haben die Schnauze voll vom Krisenmanagement der Ampel – das ich persönlich auch schlecht finde. Sie wollten der Ampel zeigen: So geht es nicht weiter. Und vielen fehlt auch das Verständnis, was Nationalsozialismus, was Faschismus ist, gerade, weil das Wahlalter auf 16 gesenkt wurde. Ich sehe hierbei vor allem das Problem im Schulsystem, weil diese Themen erst sehr spät im Lehrplan vorkommen.
Oda: Das kann ich aus meiner Erfahrung bestätigen, dass das Bildungssystem hier auch mit verantwortlich ist. Obwohl den Lehrkräften wichtig ist, dass wir politisch gebildet werden, kam die Europawahl als Thema kaum vor, weil die anderen Themen aus dem Lehrplan eben abgearbeitet werden müssen. So wurde die Juniorwahl an unserer Schule kaum inhaltlich vorbereitet und darüber aufgeklärt. Wenn die entsprechende Bildung fehlt, ist der Einfluss der sozialen Medien größer, dort wird vieles falsch dargestellt oder verkürzt, und die AfD schafft es, sich positiv darzustellen und das, was auch sehr schwierig an ihr ist, wird gar nicht wahrgenommen.
Gibt es persönliche Erfahrungen mit Menschen, die die AfD gut finden?
Oda: In meiner Klasse gibt es Jungs, die sagen, dass sie die AfD gewählt haben, wahrscheinlich aus Boykott der Ampelregierung, oder auch, weil es ihnen egal ist, aus Joke. Ich kenne die ganz gut und bin aber nicht sicher, ob sie das wirklich gemacht haben, oder sie es aus Spaß gesagt haben.
Marcel: In meiner Familie gibt es viele, die über lange Jahre SPD gewählt haben. Durch die Ampel sind sie so frustriert von der SPD, dass sie größtenteils nicht gewählt haben, zwei haben auch für die AfD gestimmt. Die Frustration führt dazu, dass viele sich von der Politik abkehren.
Seid Ihr schon einmal persönlich bedroht worden, seit Ihr Euch politisch engagiert?
Marcel: Ich habe im Hinterkopf, dass etwas passieren kann, aber es hindert mich nicht daran, Infostände zu machen. Aber es gibt auch Menschen in den Jugendorganisationen, die ihr Engagement an den Ständen aus Angst zurückgefahren haben. Das ist in meinen Augen eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie, wenn Leute aufgrund des Erstarkens von Faschisten sich nicht mehr einbringen und trauen, öffentlich ihre Meinung zu sagen.
Oda: Ich habe noch keine Bedrohung erfahren, aber die Sorge ist schon da. Dennoch spreche ich in der Schule auch offen darüber, dass ich in der Grünen Jugend bin, und selbst die Mitschüler, die scheinbar rechts gewählt haben, akzeptieren das. Wir können immer noch Freunde sein, und sie sind offen für andere Meinungen.
Die Sinus-Studie, die alle fünf Jahre Jugendliche zu ihren Einstellungen befragt, fand ja aktuell heraus, dass zwar viele sagen, dass ihnen der Klimaschutz sehr wichtig ist, sie sich dann aber nur selten politisch engagieren…
Marcel: Das stellen wir auch fest. Viele sehen zwar die Probleme, aber auch diejenigen, die AfD gewählt haben, sehen wahrscheinlich, was helfen könnte, lassen sich aber durch rechte Demagogie und Propaganda einnehmen, obwohl sie dieselben Probleme haben wie Menschen, die politisch eher links stehen.
Was war denn bei Euch die Initialzündung, Euch bei der Grünen Jugend zu engagieren?
Oda: Ich war schon länger im Jugendbeirat meiner Gemeinde aktiv. Ich habe die Probleme gesehen, die vor uns liegen, und wollte nicht tatenlos zusehen, sondern einfach was tun, mithelfen und etwas verändern. Ich traf dann Robert Wlodarczyk (jüngster Kreistagsabgeordneter im Kreistag Herzogtum-Lauenburgs und einer der Initiatoren der Grünen Jugend Herzogtum Lauenburg) auf einer Veranstaltung, der sprach mich auf die Grüne Jugend an. Ich ging dann zu einem Aktiven-Treffen und fand dort Leute, mit denen ich mich gut verstand und die die Themen diskutierten, die auch mir wichtig sind. Da war für mich klar, dass ich da mitmachen möchte.
Marcel: Ich war immer schon politisch interessiert, aber der Startschuss war dann die erste Woche im Studium, als ich merkte, dass ich als Arbeiterkind gar nicht wusste, wie alles abläuft, während die Akademikerkinder ihre Eltern fragen konnten. Ich hatte niemanden, an den ich mich wenden konnte. Diese Ungleichheit in der Gesellschaft störte mich derart, dass ich mir sagte, dagegen muss ich etwas tun.
Welche Themen liegen Euch derzeit besonders am Herzen?
Marcel: Auf dem jüngsten Aktiven-Treffen haben wir besprochen, wie wir weitermachen wollen nach der Europawahl. Unser Augenmerk liegt erst einmal darauf, die demokratischen Kräfte im Kreis zu bündeln. Wir möchten da auch auf andere Jugendorganisationen zugehen, auch auf jene, die sich nicht klassisch als antifaschistisch verstehen, wie die Junge Union, um miteinander im Dialog zu bleiben.
Oda: Das Thema bewegt mich auch, ebenso wie das Thema Migration. Als wir in unserer Gemeinde Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen hatten, gab es an meiner Schule ausländerfeindliche Aussagen. Mir fallen auch rassistische Aussagen von Mitschülern auf, obwohl unsere Schule eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ist. Hier wurden dann Missbilligungen gegen Schüler ausgesprochen und es gab einen kurzen Hinweis des Schulleiters. Ich würde mir wünschen, dass hier noch mehr passiert und daran gearbeitet wird, dass solchen Aussagen intensiver vorgebeugt wird.
Marcel: Weil wir unabhängig von der Partei sind, können wir auch Druck ausüben, Kritik an den Grünen äußern und darüber Einfluss nehmen. Diese Aufgabe müssen wir jetzt stärker übernehmen als zuvor, damit spätestens zur Bundestagswahl viele Menschen wieder guten Gewissens die Grünen wählen können. Dazu zählt für mich persönlich auch, eine klare Position zum Nahostkonflikt einzunehmen und herauszustellen, wofür die Partei eigentlich steht. Das kann ich aktuell nicht erkennen, sondern ein Zurechtbiegen, um allen Seiten gegenüber offen zu bleiben – was letztlich dazu führt, dass Menschen aus beiden Lagern verschreckt werden.
Die Fragen stellte Arnd Schweitzer.
Zu den beiden Vorsitzenden der Grünen Jugend im Herzogtum Lauenburg: Marcel Marin (27) studiert Erdsystemwissenschaften und Oda von Warburg (16) ist Schülerin in der 10. Klasse.
Wer Interesse an der Arbeit der Grünen Jugend hat, kann Kontakt aufnehmen über den Instagram-Account der Grünen Jugend Herzogtum-Lauenburg @gj.herzogtum.
Termine für die nächsten Treffen gibt es auch auf einem neuen WhatsApp-Kanal, das nächste Treffen ist am 22. Juli gemeinsam mit Bruno Högel und Oliver Brandt im Bootsverleih Morgenrot in Ratzeburg.
Eine Mitgliedschaft bei der Grünen Jugend ist bis zum 28. Lebensjahr möglich und kostet 24 Euro pro Jahr, wobei das erste Jahr kostenfrei ist. Anders als bei anderen Parteien ist eine Mitgliedschaft bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN nicht zwingend erforderlich, weil die Grüne Jugend unabhängig agiert. Eine Mitarbeit ist aber auch ganz ohne eine Mitgliedschaft möglich.