Die Ehrenbürger von Aumühle – alle gleich ehrenwert?

Aumühle hat mittlerweile drei Ehrenbürger, die wir hier im Beitrag vorstellen. Einer davon ist heute durchaus umstritten – die Gründe dafür lesen Sie unten.

Der erste Ehrenbürger von Aumühle wurde am 5. November 1952 von der Gemeindevertretung Aumühle gewählt und hieß:

Dr. Dr. h.c. Wilhelm Arnold Kiesselbach

(* 13. September 1867 in Bremen, + 26. Dezember 1960 in Hamburg)
Rechtsanwalt, Richter und Justizpolitiker

Wilhelm Kiesselbach war mit der Tochter des Senators Rapp, Elsbeth Susanna, geb. Rapp, aus der Hansestadt Hamburg verheiratet. Er nahm seinen Wohnsitz in Aumühle in der Villa Rapp, Bismarckallee 11. Aus der Ehe waren vier Söhne hervorgegangen, zwei davon fielen im Ersten Weltkrieg.

Kiesselbach entstammte dem Bremer Patriziat. Sein Großvater mütterlicherseits war der hanseatische Reichshandelsminister und Bremer Bürgermeister Arnold Duckwitz. Sein Vater Theodor Kiesselbach wurde 1879 als Richter an das Hanseatische Oberlandesgericht berufen. Kiesselbach selbst wuchs in Bremen auf.
Die Reifeprüfung legte er am Johanneum in Hamburg ab. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften war er ab 1895 in Hamburg als Anwalt niedergelassen. 1929 wurde er zum Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts bestellt. Aus dem Präsidentenamt wurde Kiesselbach, der aus seiner Einstellung gegenüber den Nationalsozialisten keinen Hehl gemacht hatte, im Zuge der Gleichschaltung ab 1933 entlassen.
Nach Kriegsende wurde er von der britischen Militärregierung am 29. Mai 1945 leitend mit dem Neuaufbau der Justiz in Hamburg betraut. Damit war zunächst bis zum 30. September 1946 auch die Präsidentenstelle am Hanseatischen Oberlandesgericht verbunden. Zum 1. Oktober 1946 übernahm Kiesselbach dann als Justizpräsident die Leitung des neu geschaffenen Zentral-Justizamtes für die Britische Zone und damit die Vermittlerrolle zwischen Britischer Militärregierung und der deutschen Justiz. Die Position entsprach von den Kompetenzen her der eines Justizministers. Das Amt bekleidete er bis zur Aufhebung am 31. März 1950.

In der Begründung bei der Wahl zum Ehrenbürger der Gemeinde Aumühle heißt es in der Ehrenurkunde am 5. November 1952: „Im Hinblick auf die hervorragenden Verdienste auf dem Gebiete des Rechtswesens, die bereits von höchster Stelle gewürdigt sind, sieht es die Gemeinde Aumühle als Ehre an, ihrem Mitbürger Herrn Justizpräsident im Ruhestand die Ehrenbürgerrechte zu verleihen.“ Die Ehrenurkunde wurde am 7. Februar 1953 durch Bürgermeister Alsleben überreicht. Bei der Überreichung waren die Gemeindevertreter Heyne, Rathmann, Lamp´l und Graf von Schwerin anwesend.

Im Alter von 93 Jahren starb Kiesselbach am 26. Dezember 1960 an den Folgen eines unglücklichen Sturzes. Er wurde auf dem Friedhof in Hamburg-Ohldorf begraben.

Von ihm gibt es zwei empfehlenswerte Schriftstücke, die auch hier auf unserer Seite eingesehen können und zwar: „Erinnerungen eines alten Aumühlers“ aus den 1950er Jahren sowie ein zehnseitiges Memorandum von August 1945, in der er sich mit der Frage beschäftigte, ob alle Nationalsozialisten mit Parteibuch auch Verbrecher waren. Dieses Schriftstück ist sehr empfehlenswert für alle, die sich mit dem Thema Verbrechen im Nationalsozialismus auseinandersetzen – und weil das deutsche Image in der Welt davon geprägt wurde, dass unter der adretten Bach- und Beethoven-Fassade im 20. Jahrhundert die Bereitschaft von Millionen Bürgern schlummerte, ihre Nachbarn industriell ermorden zu lassen. Der Jurist Kiesselbach lädt mit seinem Text dazu ein, sich mit diesem Thema differenziert auseinanderzusetzen und ermöglicht einen anderen Blickwinkel.

Der zweite Ehrenbürger wurde am 14. September 1967 gewählt. Dabei handelt es sich um

Fürst Otto Christian Archibald von Bismarck

(* 25. September 1897 in Schönhausen, + 24. Dezember 1975 in Friedrichsruh)

Er war der Sohn von Herbert Fürst von Bismarck – der starb, als Otto sechs Jahre alt war – und ein Enkel des Reichskanzlers a.D. Otto von Bismarck. Nach dem Abitur 1915 studierte er Rechtswissenschaften in Berlin und Kiel, wo er auch sein Referendariat absolvierte. Unterbrochen wurde seine Ausbildung durch den Kriegsdienst 1917/18, den er als Leutnant beendete. Von 1921 bis 1923 „Erbhofbauer“ in Friedrichsruh. Bismarck heiratete am 18. April 1928 in Berlin die Schwedin Ann-Mari Tengboom (* 1907 in Stockholm, + 1999 in Marbella), Tochter des schwedischen Hofarchitekten Ivar Tengboom. Aus dieser Ehe stammten sechs Kinder: Mari-Ann (1929-1981); Ferdinand (1930-1991); Alexander (1939-1992); Maximilian (1947); Gunilla Gräfin von Bismarck-Schönhausen (1949); Leopold (1951).

Otto von Bismarck war ein deutscher Politiker (zunächst in der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) und zog als jüngster Abgeordneter in den Reichstag ein; als Chef des Hauses Bismarck, familienintern Otto II genannt, übernahm er die Schirmherrschaft der so genannten Bismarck-Jugend, die 1928 42.000 Mitglieder hatte und damit die zweitgrößte Jugendorganisation der Weimarer Republik war, nach der Sozialistischen Arbeiterjugend.

Im April 1927 trat Bismarck in den Auswärtigen Dienst ein. Zunächst in Stockholm (bis 1928). Dort lernte er auf einem Diplomatenball seine spätere Frau Ann-Mari kennen. Ab 12. Juli 1933 arbeitete von Bismarck in London. Die Briten waren begeistert. Klang und Prestige seines Namens spielten dabei eine Rolle, aber auch seine schöne Frau.

Der braune Fleck auf der weißen Diplomatenweste

Bereits um die Jahreswende 1932/33 rechnete von Bismarck sich von einer Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler Vorteile für die persönliche Karriere und auch Steuervorteile aus. Er suchte daher in Berlin die Nähe zu Hitler und traf sich mehrmals mit ihm, aber auch mit Goebbels, Göring und dem Staatssekretär Meissner. Am 1. Mai 1933 trat er in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ein (Mitglieds-Nr. 2 700 155).

Ann-Mari war in den ersten Jahren eine Verehrerin von Hitler. Hannah von Bredow, die älteste Schwester von Otto von Bismarck, schreibt am 7. März 1933 in ihr Tagebuch: „Ann-Mari in seliger Nazibegeisterung zum Lunch (Hitler hatte ihr ein Porträtfoto mit hochkarätiger Goldeinrahmung geschenkt). Ich sagte ihr: Mein liebes Kind, der Mann ist ein Verbrecher ganz großen Ausmaßes, und es gibt keine Worte, um Eure Blindheit zu schildern. Ich lasse mich gern hängen, wenn es sein soll, aber ich werde nie Nazi!“

Eklat in Friedrichsruh – Hannah warf Bruder und Schwägerin aus dem Haus

Das Verhältnis zwischen Hannah und ihrer Schwägerin kühlte sich in den nächsten Jahren weiter ab, die Spannungen nahmen zu. Als Otto und Ann-Mari von Bismarck Hannah von Bredow 1935 bei einem Deutschlandaufenthalt in Friedrichsruh besuchten, trugen beide das NSDAP–Parteizeichen. Hannah von Bredow warf sie kurzerhand hinaus. Man schrie sich gegenseitig an. Anschließend verließen die Gäste fluchend das Haus und Friedrichsruh (dokumentiert in dem Buch: DIE BISMARCKS – Eine deutsche Dynastie von Jochen Thies im PIPER VERLAG TB erschienen März 2015– siehe u.a. auf Seite 238ff.)

In England konnte von Bismarck seinen Leidenschaften ausgiebig frönen: der Jagd, dem Golf- und Polospiel sowie schönen Autos. Die Terminkalender von ihm und seiner Frau wiesen Ende Juni 1935 aus, dass das Diplomatenpaar auf drei Wochen hin für Mittags- und Abendtermine ausgebucht war. Aufsehen in der Presse erregten Fotos von zwei Kindern der Familie mit hakenkreuzbestickten Badeanzügen in einem britischen Badeort.

Ab 1940 wechselte Otto von Bismarck mit Familie für kurze Zeit in die Deutsche Botschaft des Königreiches Italien in Rom. Er und seine Frau hatten sich mittlerweile zu Regimekritikern entwickelt. Italien trat am 19. Juni 1940 als Verbündeter des Dritten Reiches in den Zweiten Weltkrieg ein. Otto von Bismarck stellte im Januar 1941 mit Bedauern fest, dass das gesellschaftliche Leben zum Stillstand gekommen sei. Abwechslung für Diplomaten fanden sie im Golfclub mit angelsächsischem Stil in Rom.

Die Rolle Otto von Bismarcks in der Causa „Auslieferung kroatischer Juden an das Dritte Reich“ ist strittig. Es gab eine Weisung vom Außenminister Ribbentrop an die Botschaft in Rom, sich dafür bei der italienischen Regierung einzusetzen. Angeblich ist diese Weisung dort nicht angekommen und wurde daher nicht umgesetzt. Tatsache ist, dass keine kroatischen Juden an das Dritte Reich ausgeliefert wurden.

Ende September 1943 war Otto von Bismarck wieder in Friedrichsruh nach fast zehn Jahren Abwesenheit. Wenige Wochen zuvor hatte es dramatische Tage und Stunden in Friedrichsruh gegeben, als eine Flüchtlingswelle den Bismarck´schen Besitz förmlich überrollt hatte. Es waren die Überlebenden, Ausgebombten und Traumatisierten der alliierten Bombenangriffe der „Aktion Gomorrha“ auf Hamburg, die Flüchtlinge hatten die Stadt nach dem Bombardement und den Flächenbränden in den letzten Julitagen verlassen. Hunderte von Menschen, orientierungslos und verzweifelt, hatten sich am Ende gewaltsam Zugang zum Schloss verschafft, und nur mit Mühe war es den verbliebenen Bediensteten und der örtlichen Polizei gelungen, den Strom der Menschen zu ordnen und zu kanalisieren. Ein Sonderzug beförderte die Flüchtlinge bald darauf nach Mecklenburg weiter.

Am 25. November 1943 wurde Otto von Bismarck in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil Berlin Zweifel hatte, ob er sich für diesen Posten noch weiter eignete, denn man fühlte sich unzureichend informiert.

In den letzten Kriegswochen 1945 verhandelte SS-Chef Himmler mit Folke Graf Bernadotte, stellvertretender Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes und früherer Schulkamerad von Ann-Mari von Bismarck, über die Freilassung von skandinavischen KZ-Häftlingen. Bernadotte wohnte in dieser Zeit in Schönhausen oder Friedrichsruh und fuhr von dort zu Geheimgesprächen mit Himmler in Berlin oder Lübeck. Himmler ließ am Ende dieser Gespräche mindestens 15.000 skandinavische und andere Häftlinge ausreisen. Allerdings verlangte er von den Skandinaviern, dass sie die Transporte organisieren. Und so trafen in der Nacht zum 13. März 1945 Dutzende Busse und Hunderte Helfer aus Schweden in Friedrichsruh ein, wo Bernadotte das Hauptquartier aufschlug. Die Busse waren weiß gestrichen, damit die Alliierten sie nicht bombardierten. Von Friedrichsruh aus holten sie Häftlinge aus Lagern im ganzen Reich ab, brachten sie ins KZ Neuengamme bei Hamburg und schließlich von dort nach Dänemark oder auch direkt dahin. Heute ist diese Hilfsaktion umstritten, denn um Platz für Skandinavier in Neuengamme zu schaffen, mussten andere, besonders die entkräfteten KZ-Opfer, weichen. Den Transport in Außenlager überlebten viele dann nicht.
Am 29. April 1945 überflogen alliierte Flugzeuge den Sachsenwald und bombardierten mehrmals das Schloss. Beim Angriff wurde ein Fahrer des vor dem Haus parkenden Rotkreuz-Wagens getötet. Auch mehrere im Haus lebende Schweizer Staatsbürger, unter ihnen der Generalkonsul und seine Frau, kamen ums Leben. Das Schloss brannte vollständig nieder. Der Angriff erfolgte, weil die Briten zu diesem Zeitpunkt in dem Gebäudekomplex Himmler vermuteten. Hitler beging am 30. April 1945 Selbstmord. Himmler wählte denselben Weg, als er den Briten einen Monat später in Lüneburg in die Hände fiel. Am 8. Mai. 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht. Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende.

Im Juni 1945 wurde Otto von Bismarck nach einem Besuch beim Bürgermeister in Lauenburg von der britischen Besatzungsbehörde für 14 Tage im Turm des Schlosses inhaftiert. Am 8. Mai 1947 wurde er in einem Entnazifizierungsverfahren in der britischen Zone in Gruppe V „unbelastet“ eingestuft. Die Spruchkammer legte ihm dennoch eine Geldbuße von 100.000 Reichsmark auf, denn die Untersuchungskommission hatte bei ihm einen gewissen Geltungsdrang konstatiert, der zu seiner Mitläuferrolle im Dritten Reich geführt habe. Im Oktober 1948 lud das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal Otto von Bismarck zu einem Kreuzverhör, zu dem er aber nicht erschien, weil er ein ärztliches Attest vorweisen konnte.

Nach einem kurzen Flirt mit der FDP wurde Otto von Bismarck Parteimitglied in der CDU. Hier erhoffte er sich vermutlich bessere Chancen für eine Karriere im diplomatischen Dienst. Im Sommer 1953, wenige Wochen nach der Niederschlagung der Freiheitsbewegung des 17. Juni in der DDR durch russische Panzer, war Wahlkampf in Schleswig-Holstein. Bismarck wurde auf den zweiten Platz der CDU-Landesliste in Schleswig-Holstein gesetzt. Adenauer besuchte Friedrichsruh Ende August 1953 auf einer Wahlkampfreise und stand vor dem Grab des „Eisernen Kanzlers“. Wenige Wochen später zog Otto von Bismarck für den Wahlkreis Lauenburg in den Deutschen Bundestag in Bonn ein. In der dritten Generation stellten die Bismarcks wieder einen Parlamentarier. Er wurde Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und konnte wieder reisen. Damit öffnete sich für ihn erneut das Tor zur Welt. Förderer der Familie und er selbst streckten die Fühler aus, um seine Chancen als Karrierediplomat oder sogar als Politiker zu erkunden. Vorübergehend konnte er sich Hoffnung machen, Kandidat für den Außenministerposten zu werden. Am Ende machte jedoch Heinrich von Brentano (* 1904, + 1964) das Rennen, der von 1955 bis 1961 Außenminister wurde.

Otto von Bismarck war es bis zuletzt nicht gelungen, sich (selbst-)kritisch mit seiner Rolle im Dritten Reich und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Er blieb für drei Legislaturperioden im Deutschen Bundestag. 1965 schied er aus dem Parlament aus.

Bismarck schenkt der Gemeinde Bauland und wird Ehrenbürger

In der Begründung und Laudatio listete der damalige Bürgervorsteher Zöllner folgenden Punkt auf: Überlassung von Bauland zur Behebung der Wohnungsnot in Aumühle. Durch den Zuzug der Ausgebombten aus Hamburg 1944 und die Flüchtlingsströme aus den Ostgebieten in den Jahren 1945 und 1946 wuchs der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum. Die Einwohnerzahl Aumühles hatte sich mit 3.700 mehr als verdoppelt (laut Volkszählung von 1939 gab es 1.527 Einwohner). Da die Gemeinde selbst über kein Bauland verfügte, trug der damalige Bürgermeister Paul Lamp´l (er wurde nach dem Kriege von den Alliierten übergangsweise zum Bürgermeister von Aumühle ernannt) Otto von Bismarck in mehreren Gesprächen die Notlage vor.

Dieser zeigte Verständnis für das gemeindliche Problem und schenkte mit Vertrag vom 25. Juli 1946 der
Gemeinde das noch mit Hochwald bestandene Gebiet zwischen Börnsener Straße und Ernst-Anton-Siedlung in einer Größe von 5,46 Hektar. Die Gemeinde gab die Rodung in Auftrag und veranlasste den Bau von Siedlungshäusern. 35 Eigenheime mit Einliegerwohnungen wurden gebaut. Das Geld dafür hatte die Gemeinde zum Teil durch so genannte „Freikaufgelder“ von Villenbesitzern erhalten, die dafür den beschlagnahmten Wohnraum in ihren Villen wieder frei bekamen. Weitere Mittel wurden über Darlehen und Sonderprogramme des Arbeitsamtes beschafft.

Mit anderen Worten: die Gemeindevertreter waren bei der Behebung der Wohnungsnot sehr kreativ, sodass die größte Wohnungsnot erst einmal beseitigt werden konnte. Dennoch war der Bedarf nach Bauland weiterhin sehr groß und konnte erst 1963 – nach langwierigen Verhandlungen mit der Bismarckschen Verwaltung – erfolgreich zum Abschluss kommen.

Das mit Hochwald bestandene Gelände zwischen Ernst-Anton-, Sachsenwaldstraße, Perlbergweg und bis zur Sandgrube beim Friedhof wurde als Wald aufgehoben und zur Bebauung freigegeben. Den ersten Teil erhielt die Gemeinde kostengünstig für eine Sportanlage (heute Sportplatz, Tennisanlage und Sport- und Jugendheim). Weitere Bautätigkeiten können in dem Buch „Aumühle“ von Otto Prueß nachgelesen werden. Auch für den Bau einer neuen Real- und Volksschule stellte Otto von Bismarck ein Gelände am Waldrand in Form einer Schenkung an die Gemeinde zur Verfügung. Am Dezember 1952 fand die Einweihung statt. Zwölf Klassen aus den alten Schul- und Barackenräumen an der Schulstraße konnten daraufhin in die neuen Klassenräume ziehen. Der 2. Bauabschnitt konnte am 12. Dezember 1953 fertiggestellt und bezogen werden. Die Gemeindevertretung beschloss am 7. Oktober 1953, die neue Schule „Fürstin-Ann-Mari-von-Bismarck-Schule“ zu nennen in Würdigung der großen Verdienste, die sich die Fürstin mit ihrem sozialen Hilfswerk unmittelbar nach Kriegsende in der Gemeinde erworben hatte, und als Dank an das Haus Bismarck für das geschenkte Schulgrundstück.

Fragwürdige Kontakte zu ehemaligen Kriegsverbrechern und rechten Seilschaften

Bis heute ist ungeklärt, ob Otto von Bismarck wusste, wer unter dem Namen Karl Neumann für ihn fast 15 Jahre lang als Waldarbeiter tätig war und erst 1960 im Sachsenwald verhaftet wurde. Bismarck hat sich bis zu seinem Tod 1975 im Detail nie öffentlich dazu geäußert und auch auf Anfragen der Presse nie reagiert. Hinter dem Namen Karl Neumann verbarg sich der ehemalige KZ-Kommandant von Neuengamme und Auschwitz, Richard Baer. Baer stirbt 1963 in der Untersuchungshaft an Herz- und Kreislaufversagen. Auch ein weiterer SS-Mörder aus dem KZ Auschwitz findet am 25. Mai 1945 den Weg zu Bismarck und arbeitet im Gut Schönau bis zum 30. September 1946. Wegen seiner SS-Tätowierung drohte er aufzufliegen, weil ein ehemaliger KZ-Häftling dort als Schreiner und neuer Kollege anfing.

Meineid im Entnazifizierungsverfahren?

Ann-Mari von Bismarck, NSDAP-Parteimitglied seit 1933, erklärte im Entnazifizierungsverfahren an Eides statt, der NSDAP nicht angehört zu haben. Nachweislich wird sie aber in einer Liste aus dem Jahre 1946 von NSDAP-Mitgliedern aus Aumühle/Friedrichsruh unter anderem mit Otto von Bismarck aufgeführt. Sie ist eine von über 400 auf der Liste.

Die Entnazifizierung wurde 1950 offiziell beendet. Von den rund 3,6 Millionen Fällen, die von den Spruchkammern verhandelt worden waren, war es nur bei zehn Prozent zu einem Urteil gekommen, lediglich etwa ein Prozent der Betroffenen wurde tatsächlich bestraft.
Die fünfziger Jahre waren eine Dekade, in der sich viele Deutsche selbst vor allem als Opfer sahen: Opfer der Konferenz von Potsdam, wodurch Deutschland gespalten wird; Opfer der Siegerjustiz von Nürnberg.
Besonders die rund acht Millionen Vertriebenen in Westdeutschland nahmen eine exponierte Stellung als Opfer ein. Die ehemaligen Kriegsgefangenen, die als letzte im Jahre 1955 aus der sowjetischen Haft zurückkehrten, erhielten 300 D-Mark Entschädigung je Monat Gefangenschaft, während die KZ-Insassen gerade einmal die Hälfte erhielten und das meist nur nach langwierigen juristischen Verfahren.
Die deutsche Bevölkerung besaß mit den gut 100.000 Kriegerdenkmälern aus dem Ersten Weltkrieg rituelle Orte, an denen sie ihrer Toten gedenken konnten – die Namen der Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg wurden häufig hinzugefügt oder eine weitere Tafel dazugestellt.
Für Juden, Zwangsarbeiter, Sinti, Roma und andere wurden nur vereinzelt Gedenkstätten geschaffen, so in ehemaligen Konzentrationslagern oder Hinrichtungsstätten.
Viele Menschen schwiegen, um ihre Schuld zu vertuschen. Menschen hatten Verbrechen befohlen und begangen, hatten sich in Unrecht hineinziehen lassen und zu Unrecht geschwiegen, hatten vom Elend der Verfolgten profitiert und als Pflichterfüllung ausgegeben, was Mord war.
1967 erschien das Essay von Alexander und Margarete Mitscherlich mit dem Titel „Die Unfähigkeit zu Trauern“.

Wer jetzt und heute der Meinung ist, dass die Ehrung von Otto von Bismarck niemals hätte ausgesprochen werden dürfen, sollte sich das zehnseitige Memorandum aus dem Jahre 1947 von Wilhelm Kiesselbach aufmerksam durchlesen. Dem Text merkt man an, dass hier ein Jurist zu uns spricht. Aber darüber hinaus enthält er viele Weisheiten, die zeitlos sind, und in der heutigen Zeit – wo im Internet schnell ge- und verurteilt wird – ist es ein wegweisendes Dokument zur Versöhnung und eine Einladung, jeweils den ganzen Menschen im jeweiligen Kontext der gesellschaftlichen und politischen Ereignisse zu sehen und zu verstehen.
Dennoch muss es erlaubt sein, Kritik an dem Umgang mit den Fakten und der Öffentlichkeitsarbeit des Hauses Bismarck zu üben, denn durch das systemische Verschweigen, die mangelnde Transparenz und die fehlende Selbstkritik öffneten die Verantwortlichen die Tür für Spekulationen und Gerüchte.

Quellen:
Aumühle Geschichtliches über Aumühle, Friedrichsruh und den Sachsenwald
Von Otto Prueß – erschienen Oktober 2002 im Viebranz-
Verlag, 272 Seiten. Herausgeber: Gemeinde Aumühle

SPIEGEL-Artikel „Der Massenmörder im Sachsenwald“ Nr. 18/27.4.2024
und SPIEGEL-Artikel „Der zweite Mann“ in Nr. 9/22.02.2025 von Klaus Wiegrefe

DIE BISMARCKS – Eine deutsche Dynastie von Jochen Thies
PIPER Verlag – März 2015 – 430 Seiten

Nach fast genau 58 Jahren hat die Gemeindevertretung Aumühle am 11. September 2025 posthum einen neuen Ehrenbürger gewählt. Es handelt sich um

Paul Lamp’l

(6. Juni 1892 in Hamburg, + 10. November 1975 in Glinde)

Die Familie Lamp´l stammte vermutlich aus Siebenbürgen, später Schlesien, dann mit Wohnsitz in Hamburg. Von 1907 bis 1910 absolvierte Paul Lamp’l eine Lehre im Maschinenbau. 1910 bis 1913 Fahrt zur See und Besuch der Schiffsingenieurschule in Hamburg. Von 1914 bis 1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Hier nahm er unter anderem an der Schlacht von Skagerrak teil (31. Mai 1916) und fuhr auf der SMS Elbing. Nach einer Kollision mit einem Schiff der eigenen Flotte sank die Elbing. Nach Kriegsende schied er 1918 im Rang eines Obermaschinisten-Maats aus dem Militärdienst aus. Den Matrosenaufstand in Kiel hatte er 1918 unmittelbar miterlebt und begrüßt. Er wurde 1918 Mitglied der SPD und sympathisierte mit dem Freimaurerbund „Zur aufgehenden Sonne“. Von 1919 bis 1933 arbeitete er als Angestellter der städtischen Verwaltung für Handel und Schifffahrt in Hamburg.
Am 21. Mai 1921 heiratete er Martha Reimers (* 1894, + 1975). Sie war eine Tochter von Theodor Reimers (* 1853, + 1927) und Maria, geb. Willot (* 1836, + 1897). Sein Schwiegervater war von 1914 bis 1921 ehrenamtlicher Gemeindevorsteher in Aumühle und führte unter anderem Verhandlungen mit Emil Specht, dem Begründer der Villenkolonie. Die Familie wohnte in der Sachsenwaldstraße 21. Dort lebte Paul Lamp´l mit seiner Frau und Tochter Maria (* 1922, + 12. Mai 2024) bis zum Einzug 1947 in den eigenhändig gebauten Neubau in der Sachsenwaldstraße 33.

Politische Aktivitäten von Paul Lamp’l

Lamp´l war von 1924 bis April 1933 Mitglied der Aumühler Gemeindevertretung und von 1926 bis 1933 auch Mitglied des Kreistages in Ratzeburg. Er legte seine Mandate in der Gemeindevertretung, in den Ausschüssen und im Kreistag im April 1933 nieder. Aufgrund der monatelangen Progromstimmung im Deutschen Reich vor den jeweiligen Reichstagswahlen, des täglichen Terrors durch willkürliche Verhaftungen und der körperlichen Gewalt durch Schlägertrupps der paramilitärischen Sturmabteilung (SA) sowie der vielen Drohungen und Anfeindungen durch Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und von ranghohen SA- und SS-Angehörigen auch in Aumühle wollte er sich und seiner Familie weitere Repressalien ersparen.

Seine Anstellung als Kaufmann bei der Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft verlor er aufgrund seiner SDP-Mitgliedschaft. Aufgrund guter Beziehungen und seiner beruflichen Fähigkeiten erhielt er bei einer dänischen Exportfirma Arbeit auf dem Hamburger Schlachthof in der Sternschanze. Paul Lamp´l gehörte zu der Personengruppe der Oppositionellen, die schon lange das Missfallen des NS-Regimes erregt hatte. Er wurde 1944 von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Neuengamme eingeliefert. Doch er hatte Glück, da sich sein dänischer Arbeitgeber unter anderem bei der Gestapo-Geschäftsstelle in Lauenburg für ihn einsetzte und er daraufhin als „unabkömmlich“ und „kriegswichtig“ eingestuft wurde. Dies führte zu seiner Entlassung aus dem KZ mit der Auflage, kein Wort über den Aufenthalt im KZ zu verlieren.

Nach Kriegsende engagierte sich Paul Lamp´l erneut in der Kommunalpolitik. Von der englischen Besatzung wurde er in den kommissarischen Aumühler Gemeinderat berufen und 1946 zum ersten Nachkriegs-bürgermeister gewählt. Die Wahl in den ersten Kreistag nach dem Krieg nahm er im Jahre 1946 an. Darüber hinaus bestellte ihn 1947 die Sonderkommission des Kreisausschusses zum Amtsvorsteher des Amtes Friedrichsruh. Von 1955 bis 1966 wurde er in den Kreisausschuss und mehrfach zum Zweiten Stellvertretenden Landrat gewählt. Für seine großen kommunalpolitischen Verdienste verlieh ihm der Landrat am 19. September 1953 die Kreisplakette weitere Ehrungen folgten, unter anderen 1967 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Paul Lamp´l wurde als gradliniger Mensch geachtet und sein Wort hatte in den kommunalen Gremien Gewicht. Häufig trafen sich Kommunalpolitiker aller Parteien im Hause Lamp´l in der Sachsenwaldstraße 33, um bei einer guten Zigarre und einem Glas Bier aktuelle politische Themen zu erörtern.

Paul Lamp´l hat im Kreis Herzogtum Lauenburg und in der Gemeinde Aumühle viel bewegt. Im Jahre 1966 zog er sich aus der Kommunalpolitik zurück, um jüngeren Menschen mit neuen Ideen Platz zu machen. Am 10. November 1975 starb Paul Lamp´l.

Rund 50 Jahre nach seinem Tod hat die Gemeindevertretung Aumühle beschlossen, ihm die höchste gemeindliche Ehrung zu verleihen: die Ehrenbürgerschaft. Lamp`l vertrat in der Zeit des Nationalsozialismus weiterhin die demokratischen Ideale und musste dadurch viele Anfeindungen erleben. In Zeiten wie diesen, in denen die Beschimpfungen und Drohungen gegen Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen wieder zunehmen, ist die Ehrenbürgerschaft ein wichtiges Zeichen für eine starke Demokratie mit einem Paul Lamp´l als Vorbild.

ULRICH SCHRÖDER