Erinnerungen eines alten Aumühlers, Dr. Wilhelm Kiesselbach, dem ehemaligen Justizpräsidenten des hanseatischen Oberlandesgerichts, vermutlich aufgeschrieben in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Er beschreibt die Entwicklung des Ortes von Anbeginn bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
„Aumühle war in der Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine verschlafene, fast unbekannte Waldidylle, zu deren Entwicklung, die von Emil Specht ins Leben gerufene „Villenkolonie Hofriede“ den ersten Anstoß gab.
Hofriede war der Name eines hier gelegenen Dorfes, das im Dreißigjährigen Kriege zerstört und verschwunden war. In Erinnerung an jene längst vergangene Zeit trägt noch jetzt im Volksmund die etwas vorspringende Anhöhe am Ufer der Bille, auf der das Haus von Dr. Krauel steht, die Bezeichnung „Schwedenschanze“, und noch jetzt habe ich beim Graben in meinem Garten gelegentlich die steinernen Kugeln der damaligen Geschütze gefunden.
Das jetzt unter dem Namen „Aumühle“ bewohnte Gebiet, das auch die Ortschaft Billenkamp umfasste, bestand zu einem großen Teile aus Wald, der zum Fürstlichen Bismarck´schen Fideikomiss (Kurze Erläuterung: das Familienfideikommiss ist eine Einrichtung des Erb- und Sachrechts, wonach durch Stiftung das Vermögen einer Familie, meist Grundbesitz, auf ewig geschlossen erhalten werden sollte und immer nur ein Familienmitglied allein, der Fideikommissbesitzer, das Nießbrauchsrecht innehatte (das Nießbrauchrecht ist ein Recht, das einer Person (dem Nießbraucher) erlaubt, eine Sache (z.B. Immobilie) zu nutzen und die Erträge daraus zu ziehen, auch wenn sie nicht der Eigentümer ist. Es ist eine Form des Nutzungsrechts, die oft im Zusammenhang mit Schenkungen oder Vererbung von Immobilien genutzt wird, um dem bisherigen Eigentümer weiterhin die Nutzung zu ermöglichen). Eichen und Föhren zeugen noch von seinem Bestandteilen. Einwohner des Dorfes hatten in diesen Waldungen für ihr Vieh die Weiderechtsame (bezeichnet das kontinuierliche Recht, Vieh auf fremden Land weiden zu lassen. Es handelt sich um eine historische Nutzungsart wo das Weiderecht als Teil der Gemeinheit geregelt war. Heute ist es eine Form des Nutzungsrechts an Grundstücken, die im Rahmen des Eigentumsrechts besondere Bedeutung hat), deren Ablösung von der Fürstlich von Bismarck´schen Verwaltung betrieben wurde.
Zu diesem Zweck wurde eine Vereinbarung mit dem Berechtigten getroffen, wonach ein gewisses Areal des Waldlandes aus dem Fideikommiss herausgenommen, parzelliert und den Berechtigten gegen Verzicht auf ihre Gerechtsame als Eigentum überlassen werden sollte. Als eine Auslösung aus dem Fideikommiss von der zuständigen Behörde genehmigt war und die Berechtigten sich über die Aufteilung verständigen sollten, trat eine unerwartete Schwierigkeit ein. Die Bauern lehnten die Übernahme der „Sandbüchse“ und die Erfüllung der mit ihnen getroffenen Vereinbarungen ab, weil ungeeignet für einen Anbau.
Die Fürstliche Verwaltung hatte die nötigen Vereinbarungen nicht ausreichend oder nicht in rechtswirksamer Form getroffen, und die Sackgasse war da.
Da trat der umsichtige und unternehmende Kaufmann Emil Specht in die Bresche. Er beschaffte sich die nötigen Kredite und kaufte dem Fürsten das strittige Areal ab. Der Fürst löste mit diesem Gelde die Weiderechtsame ab, und Specht würde der Gründer einer Villenkolonie.
Specht war ein Mann, der mit den Aumühler Verhältnissen vertraut war. Schon sein Vater hatte – als Eigentümer oder Pächter – in Friedrichsruh den Betrieb eines viel von den Hamburgern besuchten Hotels geführt.
Im Zusammenhang mit dem Erwerb des großen Fideikommisses des Sachsenwaldes durch den Fürsten ging auch das Haus dieses Hotels (der ehemalige Gaststättenbau „Frascati“ in Bergedorf wurde 1845 von dem Vater von Emil Specht auf Abbruch gekauft und der Holzbau in Friedrichsruh wieder aufgebaut) 1871 auf den Fürsten über. Das Haus war alt und stammte anscheinend noch aus der dänischen Zeit, ebenso wie der Name Friedrichsruh, der sich von dem Namen eines dänischen Königs ableitet. Mit diesem Eigentumsübergang wurde das Haus zum „Schloß Friedrichsruh“, ohne aber dadurch eine wesentliche äußere oder innere Veränderung zu erfahren. Jedenfalls standen noch nach dem Tode des alten Fürsten an den Zimmertüren unversehrt die Zimmernummern des Hotelbetriebes (seit 1871 lebte Fürst Otto von Bismarck in Friedrichsruh im Specht´schen Hotel Frascati, nachdem Kaiser Wilhelm I. ihm zunächst für seine Verdienste die Fürstenwürde verlieh und Grundbesitz überschrieb, darunter auch die Fideiherrschaft über Aumühle und den „Sachsenwald“)
Von Heinrich August Specht (dem Vater von Emil Specht) erwarb Bismarck ein zweites Erbenzinsgut von 85 Morgen in Lauenburg und verschiedene Gebäude. Das Logierhaus „Frascati“ hatte er zunächst nur gepachtet bis er sich 1873 entschied, seinen endgültigen Wohnsitz in Friedrichsruh zu nehmen).
Mit bewundernswerter Tatkraft begann Emil Specht den Ausbau seiner Villenkolonie. Er baute unsere guten Straßen, legte Siele an und errichtete Elektrizitäts- und Wasserwerke, die aber zunächst nur an die Bewohner seiner Kolonie Licht und Wasser liefern durften.
Unter seinem Wahlspruch „In Hofriede herrscht Ordnung“ entwickelte die Kolonie sichtlich, so daß sich z.B. bis zum I. Weltkrieg der Wert des Grund und Bodens mehr als verdoppelt hatte.
Lange Jahre hindurch aber blieb die Kolonie verwaltungstechnisch unter der Fideikommissverwaltung, die auch die öffentlichen Lasten, die Einquartierung, Schule usw., zu tragen hatte. Erst nach langer Zeit und harten Kämpfen und nachdem inzwischen die Kolonie Hofriede von Specht durch den Erwerb der Oberförsterkoppel und der Alten Hege vergrößert worden war, konnte die Eingemeindung von „Hofriede“ in die Gemeinde Aumühle durchgeführt und die jetzt bestehende Rechtsordnung geschaffen werden.
Eine erheblich Förderung in seiner Entwicklung erfuhr Aumühle in dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts durch die großzügige Neugestaltung des Hamburger Bahnverkehrs.
Aumühle wird Bedarfs-Haltestelle für den Zugverkehr
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erreichte man Aumühle vom damaligen am Steintor gelegenen „Berliner Bahnhof“, der dem Hamburg-Berliner Verkehr diente. Nun ging die Bahnverwaltung dazu über, die verschiedenen Hamburger Bahnhöfe (Klostertor-, Berliner-, Venlover Bahnhof) in einen Zentralbahnhof zusammenzufassen. Dieser Neugestaltung zwischen Glockengießerwall und Kirchenallee fiel ein uralter, äußerst malerischer Friedhof zum Opfer. Es war die einzige, fast unberührte Stelle, an der man noch die Weinbergschnecke als Überbleibsel aus der katholischen Zeit und jetzt nur noch in Mitteldeutschland lebenden Feuersalamander fand.
Im Lauf der Bauzeit wurde in Verbindung mit dem Abbruch des Berliner Bahnhofs die Abfahrtsstelle der Züge in Richtung Berlin an die weit draußen liegende Lippoldstraße verlegt, die, bei schlechter Verbindung mit der Stadt, höchst beschwerlich zu erreichen war.
Die einzigen Stationen auf der Strecke bis Friedrichsruh waren damals Bergedorf und Reinbek. Aumühle war keine „Station“ sondern nur eine „Haltestelle“, d.h. nach der dazu gegebenen Erläuterung eine Stelle, für die den Zügen eine „ungezwungene“ Einstellung zu den vorgesehenen An- und Abfahrtzeiten gestattet war. Wohltorf und alle anderen jetzt de Verkehr notgedrungen verlangsamenden Stationen gab es noch nicht. Die Fahrt von Hamburg bis Bergedorf erforderte 30 Minuten. Das flache Land westlich der Bahnlinie war durch zahlreiche malerische Wind- und Wassermühlen belebt.
Bergedorf hatte dadurch eine gewisse Prominenz, daß es einen etwas gewaltsamen Anschluß an den Weltverkehr versucht hatte. Es hatte bei Konzession der Bahn, welche ursprünglich, wie alle deutschen Bahnen, von privaten Gesellschaften gebaut und betrieben wurden, und deren Aktien in der Gründerzeit eine nicht sehr segensreiche Rolle gespielt hatten, die Bedingung durchgesetzt, daß alle Züge von und nach Hamburg in Bergedorf halten mußten, auch die damals sogenannten „Schnellzüge“.
Eine erfreuliche Folge in dieser im übrigen recht unbequemen Einrichtung waren drei oder vier liebliche Vierländer Mädchen in ihrer malerischen Volkstracht, die in den Sommermonaten mit gutem Erfolg der wartenden Reisenden Blumen und namentlich die berühmten Vierländer Erdbeeren u.a. verkauften.
Mit Eröffnung des Hauptbahnhofs und der mehr und mehr sich geltend machenden Intensivierung des Verkehrs wurde auch der Verkehr Hamburg – Aumühle großstädterischer und nüchterner. Nur ausgerechnet am Hauptbahnhof wurde ein Stück Aumühler Poesie gerettet.
An dem Gang, der an der westlichen Schmalseite der Bahnhofshalle in halber Höhe über die Geleise führt, überraschte ein übergroßes längliches Bild, das in farbenfroher Pracht Aumühle darstellte. Aus dem frischen Grün der Bäume leuchtete das Wasser der Bille heraus, die durch die ganze Länge des Bildes floß, und auf dieser Bille, am Aumühler Ufer, lag ein prächtiger weißer, offenbar von Hamburg ankommender Dampfer, der scheinbar auf Passagiere wartete.
Und er wartete viele Jahre und anscheinend nicht ohne Grund, denn das Schiff war mehr als doppelt so lang als die Bille breit war. So war ihm ein Wenden unmöglich; es gab kein Zurück für ihn. Konnte somit der Dampfer seinen eigentlichen Zweck nicht erfüllen, so hat es dort vielleicht dadurch unserem Aumühle genützt, daß die durch ihn verursachte spannende Situation die Aufmerksamkeit auf die Reize unseres Ortes lenkte.
Einen erheblichen, zunächst den erwarteten Vorteil brachte der umgestellte Bahnverkehr dadurch, daß Aumühle zum Endpunkt des Lokalverkehrs ausgebaut wurde. Der gegebene Endpunkt wäre Friedrichsruh gewesen, aber die Fürstliche Verwaltung erklärte sich nocht bereit, für die benötigten, ziemlich umfangreichen neuen Anlagen das erforderliche Terrain zur Verfügung zu stellen, und so griff man auf Aumühle zurück. Aumühle wurde „Station“. Damit entschwand alles Alte, um dem neuen Bahnhof mit seinen Anlagen Platz zu machen.
Die traulichen Zeiten waren vorüber, in denen eine höfliche Bahnleitung einen jungen Abonnenten brieflich bitten konnte, künftig etwas pünktlicher zu sein, da die Züge nicht immer auf ihn warten könnten. Damit endete eine allen Bahn-Abonnenten lieb gewordene Gepflogenheit, die Abfahrtszeiten der Morgenzüge nicht allzu genau zu nehmen. Rücksichtnahme galt noch vor Pünktlichkeit. Wie manchesmal hatte noch der Ruf eines Passagiers: „Herr X. kommt noch“ (und ein jeder kannte fast jeden) den zum Abfahrtszeichen erhobenen Arm des Beamten noch einmal sich senken lassen.
Dort, wo jetzt die breite Straße vom Bahnhof herunter zum Wald und zu Buschbeck führt, stand auf höherer Böschung das bescheidene Holzhaus der Haltestelle Aumühle unter im Sommer herrlich blühenden Linden.
Ein kurzer Fußweg führte an eine hölzerne Treppe und diese hinauf zu den Bahngeleisen, auf denen noch in altmodischer Form die Züge 1. bis 4. Klasse verkehrten. Eine Brücke, ebenfalls hölzern, verband die beiden Bahnböschungen miteinander, während der Fuhrverkehr auf die breite Holzbrücke angewiesen war, die inzwischen durch die breite Steinbrücke der Dassendorfer Chaussee ersetzt ist.
Am Ausgangspunkt der Bismarckallee führte die Fahrstraße auf gleichem Niveau über die Bahn. Ihr jetziger Ersatz durch eine Unterführung gehört einer späteren Zeit an.
Damals führte ein schmaler Fußweg am Ende der Bismarkallee zum neuen Bahnhof und darüber hinaus bis zur Chaussee. Aus seiner nördlichen, dem Bahngeleise zu liegenden Seite war freies Gelände, auf der südlichen, getrennt durch einen schmalen Grünstreifen, lief ein echter, tiefsandiger Feldweg, der seinerseits die Grenze bildete für die Kornfelder auf der noch im fürstlichen Besitz befindlichen Oberförsterkoppel. Wenn im Spätsommer das Korn geschnitten wurde, kreuzen freundliche Schnitterinnen den Feldweg und wanden den nicht sehr zahlreichen zum Bahnhof gehenden Personen mit einem alten deutschen Spruch Halme um den Arm. Die so Gepfändeten lösten sich dann gern mit freiwilliger Spende.
Dieser Unberührtheit der Natur entsprach auch noch die Tierwelt In den neu angelegten Gärten mußten die jungen Obstbäume durch Drahteinfassung gegen Rehe und Hasen geschützt werden. In den kühlen Herbstnächten war es den Ruhebedürftigen nicht möglich, das Fenster des Schlafzimmers geöffnet zu halten, das Schreien der Hirsche, zum aus geringster Entfernung, verhinderte jeden Schlaf. In einem der ersten Winter jener Jahre wurde an der damaligen Überführung über die Bahn ein mächtiger Hirsch totgefahren.
Die Bille war gut besetzt mit Forellen und auch anderen zum Teil sehr seltenen, wohlschmeckenden Fischen (Aesche u.a.). Außerordentlich schön war es, an wolkenlosen Frühherbstmorgen die Bille hinaufzugehen.
Dann kreuzte das Rehwild noch zum Wasser und die Fischotter trieben sich an den Ufern herum. Weniger erfreulich war das Raubzeug – Fuchs, Marder, Iltis – das auf Hühnerraub in die Gärten kam. Noch in späteren Jahren hat ein Fuchs an einem Augustsonntag in meinem Garten am Nachmittag einen ausgewachsenen Puter geraubt, ist mit dem schweren Tier über die Gitter gegangen und mit ihm entkommen. Die weißen Federn zeigten die Spur.
Kreuzottern durchstreifen die Alte Hege
Noch weniger erfreulich waren die Kreuzottern, die aus der zum Teil etwas feuchten, zum Teil mit Laubbäumen und Unterholz besetzten Alten Hege ihre Streifzüge machten. Im Sommer eine gute Erwerbsquelle für die Dorfjugend, die die Tiere für 3 Mark das lebende Stück an den Zoologischen Garten verkaufte. So fand ich an einem sonnigen Sommertage meine kleinen Söhne mit fünf jungen, etwa 10cm langen Kreuzottern spielend, während die alte Otter in einiger Entfernung behaglich in der Sonne auf dem Gartenweg lag.
Einen ganz besonderen Reiz aber hatte es, wenn im Herbst der Stangenteich von der Fürstlichen Verwaltung ausgefischt und zu diesem Zweck das Wasser abgelassen wurde. Dann war die ganze Försterei aufgeboten und zahlreiche Fischhändler mit großen Kübelwagen standen bereit, den lebenden Fang an Karpfen und Schleien in Empfang zu nehmen. Die Karpfen wurden mit Netzen gefangen, die Schleie mußten einzeln aus dem sumpfigen Teichboden, in den sie geflüchtet waren, mit entblößten Armen herausgeholt werden.
War die Windrichtung günstig, so hallte der Wald oft bis zum Mittag von dem Schreien der Hirsche auf de Rieden wieder.
Das Dorf gehörte damals noch zum Kirchspiel Brunstorf, etwa 1 ½ Stunden von Aumühle entfernt. Dort lagen Kirche und Pfarrhaus und dorthin mußten die Aumühler Kinder während des zweijährigen Konfirmationsunterrichts auf dem öffentlichen Fußweg, dem sogenannten „Brunsdorfer Kirchenweg“, der heute noch deutlich zu erkennen ist, allwöchentlich bei gutem und schlechtem Wetter gehen, ohne die Möglichkeit des Wechselns der durchnäßten Kleider und Schuhe.
Ähnlich ländlich unzulänglich waren die Postverhältnisse:
In einem kleinen Zimmer in dem Bauernhaus des Bürgermeisters in der Lindenstraße befand sich die Postnebenstelle, die in bestimmten Stunden des Tages versuchte, den postalischen Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden und die nun durch die in der Nähe des Bahnhofs auf einem von Specht auf seinem Terrain zur Verfügung gestellten Grundstück errichtete neue Post ersetzt wurde.
Einen wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung von Aumühle bedeutete die schon erwähnte Zusammenfassung der Ortschaften und der Villenkolonie in eine Gemeinde. Damit ist der Grundcharakter des jetzigen Aumühle festgelegt, aus dem sich dann alles weitere entwickelt hat.
Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges ist diese Entwicklung eine überaus vielversprechende gewesen und vollzog sich ohne wesentliche Störungen. Aus ihren friedlichen Zeiten ist vielleicht aber der folgende Vorgang einer kurzen Erwähnung wert. Darüber berichten wir im nächsten Artikel von W. Kiesselbach:
Gewerbsmäßige Einbrecher versetzen Aumühle in Unruhe
In dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde das Aumühler Leben durch eine Folge von Einbrüchen gestört. Gewerbsmäßige Einbrecher machten einen Eroberungsfeldzug, der die Gemeinden Friedrichsruh, Aumühle und Wohltorf in mehr als 93 erfolgreichen Einbrüchen trotz großer und kleiner Hunde in lebhafte Unruhe versetzte. Kaum ein Haushalt blieb verschont.
Die Erregung war so groß, daß die Altonaer Polizei mehrere Kriminalbeamte mit einem Polizeihund entsandte, die für eine Reihe von Tagen in Aumühle untergebracht wurden. Die Beamten trafen an einem Sonnabend ein und ordneten gleich für den nächsten Tag durchgreifende Maßnahmen an. Alle Zugänge zum Dorf wurden durch Wachen von je 3 Männern, Villen- und Dorfbewohnern, besetzt, die sich in geeigneter Weise versteckt zu halten hatten. Es war eine warme, windstille Augustnacht. Man konnte die Leute auf dem Wohltorfer Bahnhof sprechen hören. Kurz nach 1.00 Uhr ertönten plötzlich in rascher Reihenfolge fünf scharfe Detonationen aus der Richtung der Ecke Bergstraße / Bismarckallee. Gleichzeitig sah die in der Gegend des späteren Bismarckturmes liegende Wache ein eiliges Licht über die Straße kreuzen, dessen Verfolgung sogleich aufgenommen wurde. In dem nahe liegenden Gebüsch stellte sie einen mit einem Stock bewaffneten Mann, der sich verteidigungsbereit vor eine offenbar auf´s höchste verängstigte Weiblichkeit gestellt hatte. Es war ein Beamter der Bahn, ein prächtiger alter Gardekürassier, der nach Dienstschluß in der aufgeregten Zeit ein zitterndes Hausmädchen eines der dort gelegenen Häuser unter sicherem Geleit nach Hause bringen wollte. Die freudige Erkennungsszene wurde durch eine erneute einmalige Detonation aus gleicher Richtung unterbrochen und im Sturmschritt ging es nun dorthin, wo sich gleichzeitig die Kommissare und einige Wachen zusammenfanden.
Zunächst war nichts Verdächtiges zu sehen oder zu hören. Da fingen plötzlich die Hunde an, unruhig zu werden. „Hier ist etwas nicht in Ordnung“, erklärte der leitende Kommissar, „meine Herren bleiben Sie hier, die Polizei wird den Garten absuchen“. Und so geschah es und dann dauerte es nicht lange, da kamen die Beamten mi der Beute zurück.
Aus dem Halbdunkel der Sommernacht leuchtete die Uniform eines Königlich Preußischen Unteroffiziers und hinter ihm tauchte eine Mädchengestalt auf. Das Paar hatte sich – vielleicht zufällig – in dem Gartenhäuschen der Besitzung getroffen. Die Identifizierung vollzog sich reibungslos und dann erklärte der leitende Kommissar: „Meine Herren, es ist jetzt 3.00 Uhr nachts, jetzt kommt kein Einbrecher mehr, wir wollen zu Bett gehen“. Damit war die Episode beendet, aber keineswegs die Einbrüche. Die Polizei wurde nach einigen Tagen abgerufen, aber die Einbrüche nahmen ihren Fortgang. „Sachverständige“ vertraten die Auffassung, daß ein so intensiver Einbruchsbetrieb nur möglich sein könne, wenn die Einbrecher in der Nähe im Walde hausten.
Es wurde daher eine große, streng geheim zu haltende Weiterrazzia beschlossen. Alle wehrhaften Männer der drei Gemeinden, alle Förster und möglichst auch freiwillige Verstärkung aus Hamburg sollten mitwirken. Als am Tage vor der beabsichtigten Razzia ein „Freiwilliger“ aus Hamburg einen Laden betrat, um sich für die Ausführung des Geheimplanes eine Waffe zu kaufen, wurde er mit den Worten empfangen:
„Wollen Sie auch einen Revolver für die morgige Aumühler Razzia haben?“
Die Razzia fand statt. Der Erfolg war ein unbegrenzter Mißerfolg. Selbst die Tiere des Waldes hatten sich verzogen.
Die Einbrecher wurden später zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, die „Beute“ hat sich glücklich geheiratet, die Ursache der sechs Detonationen wurde niemals völlig aufgeklärt.
Nicht so harmlos verliefen die Monate nach dem 1. Weltkrieg. Die Gegend wurde so unsicher, daß die drei Gemeinden sich veranlaßt sahen, von der Ratzeburger Militärbehörde einen militärischen Schutz zu erbitten. Darauf wurden 15 Ratzeburger Jäger zur Verfügung gestellt, die auf die drei Gemeinden verteilt wurden, aber bei gegebener Veranlassung auch als „Truppe“ gemeinsam handelten. Die Aumühler Mannschaft wurde in einer Villa untergebracht und die Leute zum Sonntag Mittag auf die Villen verteilt.
Sie haben treue Wache gehalten; mehr als einmal wurden die Bewohner durch nächtliche Schüsse aufgeweckt. Zwei Leute wurden in diesen Nachtgefechten – glücklicherweise nur leicht – verwundet.
Dann kamen die Schrecken des 2. Weltkrieges mit den Kämpfen in und um Aumühle am 1. und 2. Mai 1945 und dann der Zusammenbruch mit seinen erschütternden Folgen.
Aus der kleinen Gemeinde von kaum 1.500 Einwohnern wurde Aumühle durch den Zuzug der Flüchtlinge zu einer Ortschaft mit ungefähr 4.500 Einwohnern.
Aber alle Zeichen deuten darauf hin, daß auch diese trüben Zeiten bessere Tage folgen werden, und daß Aumühle in gemeinsamer, harmonischer Arbeit, gekräftigt und verstärkt, sich weiter erfreulich entwickeln wird.“
Hier ein paar persönliche Daten zu Dr. Wilhelm Kiesselbach:
Geboren am 13. September 1867 in Bremen – gestorben nach einem Unfall in der Villa am 26. Dezember 1960 in Aumühle. Er wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben.
Wilhelm Kiesselbach entstammte dem Bremer Patriziat. Sein Großvater mütterlicherseits war der hanseatische Reichshandelsminister und Bremer Bürgermeister Arnold Duckwitz. Sein Vater Theodor Kiesselbach wurde 1879 als Richter an das Hanseatische Oberlandesgericht berufen. Wilhelm wuchs in Bremen auf. Er studierte ebenfalls Rechtswissenschaften. Ab 1895 war er in Hamburg als Anwalt niedergelassen.
1929 wurde er zum Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts bestellt. Er war seit 1895 mit der Tochter des Hamburger Senators Rapp – Elsbeth Susanna, geb. Rapp – verheiratet. Sie hatten ihren Wohnsitz in der Villa Rapp in der Bismarckallee 11 in Aumühle. Aus der Ehe sind vier Söhne hervorgegangen, davon sind zwei im Ersten Weltkrieg gefallen.
Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten wurde er im Zuge der Gleichschaltung ab 1933 entlassen. Nach Kriegsende wurde er im Alter von 78 Jahren von der britischen Militärregierung am 29. Mai 1945 leitend mit dem Neuaufbau der Justiz in Hamburg betraut. Zum 1. Oktober 1946 übernahm er dann als Justizpräsident die Leitung des neu geschaffenen Zentral-Justizamtes für die Britische Zone und damit die Vermittlerrolle zwischen Britischer Militärregierung und der deutschen Justiz. Die Position entsprach den Kompetenzen eines Justizministers. Das Amt bekleidete er bis zur Aufhebung am 31. März 1950.
Eine Büste Kiesselbachs im Gerichtsgebäude des Hanseatischen Oberlandesgerichts am Sievekingplatz in Hamburg erinnert heute an ihn.
Die Gemeinde Aumühle verlieh ihm am 5. November 1952 aufgrund seiner hervorragenden Dienste auf dem Gebiete des Rechtswesens die Ehrenbürgerrechte. Bei der Überreichung der Ehrenbürger-Urkunde am 7. Februar 1953 waren die Aumühler Gemeindevertreter Heyne, Lamp´l, Rathmann, Graf v. Schwerin und der Bürgermeister Alsleben anwesend.
ULRICH SCHRÖDER