Paul Lamp’l – ein Augenzeuge der Operation Gomorrha

Zentralbild 120-46 II. Weltkrieg 1939 - 1945 Britische Luftangriffe auf Hamburg Bergungstruppen durchsuchen nach einem Luftangriff die Trümmer nach Opfern.

Die Apocalypse nach den alliierten Bombenangriffen auf Hamburg am 24. und 27. Juli 1943 hat der Aumühler Paul Lamp´l in einem Brief an seinen Sohn dokumentiert. Er beschreibt darin seinen Versuch, von Aumühle aus seine Arbeitsstätte in Hamburg am 28. Juli 1943 aufzusuchen. Hier einige Auszüge aus seinem Brief an seinen Sohn Hans vom 29. Juli 1943:

„Lieber Hans!

Du wirst auch wohl schon lange Zeit auf einen Brief von uns gewartet haben. Soweit man in diesen Tagen überhaupt die Gedanken sammeln kann, will ich Dir den Lauf unserer letzten überaus traurigen Tage mitteilen, soweit die Feder hierzu überhaupt in der Lage ist.

Wir glaubten, dass der Luftangriff am Sonnabend Nacht 24. Juli mit seinen unheimlichen Verwüstungen in Hamburg schon den Höhepunkt erreicht hat. Wenn auch bereits ganze Straßenzüge in der Innenstadt, sowie auch in den einzelnen Stadtteilen in Trümmer lagen, Kirchen ausgebrannt u.s.w. waren, so war das gegenüber dem Angriff von Dienstag, den 27.7. doch nur eine Bagatelle. Beim ersten Angriff wurde unser Geschäftshaus im Innern zertrümmert, die gesamten Innenwände stürzten in die Kontore. Türe sowie Fenster nebst Einfassung lagen dazwischen, alles Kunterbunt durcheinander. Rings um uns herum Ruinen und brennende Häuser. Mein Wirkungsfeld an der Sternschanze sah genau so aus. Die Vorortsbahn fuhr nur noch bis Rothenburgsort.

Keine Straßenbahnen und keine Hochbahnen. Am Sonntag (25. Juli 1943) Nachmittag fuhr ich nach Hamburg rein. Nach 4 Stunden kam ich endlich im Kontor an. An Schlaf war bei den brennenden Häusern in der Nachbarschaft nicht zu denken. Für die nächsten Tage nahm ich mein Rad mit nach Hamburg, denn durch die mit hohem Staub und Asche bedeckten Straßen jeden Tag nach Rothenburgsort zu Fuß zu gehen, war unmöglich. Mein Rad konnte ich bei einem bekannten Wirt in Rothenburgsort gut unterstellen.

Und dann kam die Schreckensnacht am Dienstag, den 27. Juli und damit der Untergang Hamburgs. In Aumühle war es schon grausig, eine Welle der Flugzeuge nach der andern über die Köpfe hinwegbrausen zu hören. Dazu der fürchterliche Lärm der Flak. Nachts um 1/3 3 Uhr standen wir mit den Nachbarn noch an der Straße und mussten uns das schaurige Bild mit ansehen. In Richtung Hamburg war der Himmel blutrot und voller Qualmwolken. Bis in die frühen Morgenstunden vernahmen wir noch Detonationen eines Munitionszuges, der bei Rothenburgsort lag. Viel geschlafen haben wir in dieser Nacht nicht mehr.

Am nächsten Morgen fuhr ich gleich nach Hamburg, um ins Geschäft zu sehen und mein Rad wieder mitzunehmen. Da die Züge aber nur bis Bergedorf fuhren, nahm ich Maria´s Rad mit. Trotzdem es ein heller, klarer Sommertag war, wurde über Aumühle hinaus noch der ganze Himmel mit den von Hamburg herkommenden Rauchwolken überzogen, durch die die Sonne blutrot hindurchschien. Mit der Bahn bis Bergedorf ging es glatt, aber dann! In Billstedt links und rechts bereits brennende Häuser und Versuche der Feuerwehr, die Leute unter den verschütteten Häusern herauszuholen. Je weiter ich nach Hamburg herankam, desto dicker der Qualm. Uns entgegen kam ein unübersehbarer Strom von Flüchtlingen mit allen möglichen Fahrzeugen, zu Fuß, mit und ohne Gepäck; vom Rauch schwarz und teilweise notdürftig verbunden. Kinder dazwischen vom Säugling bis in jedes Alter. Das Grauen überkam uns, als wir das Hamburger Gebiet in der Horner Landstraße betraten. Je weiter ich kam, desto grausiger wurde es. Ich habe im vorigen Krieg viel mitgemacht, aber so etwas übersteigt jedes Maß an Schrecklichem.

Von der Hamburger Stadtgrenze bis nach Berliner Tor und weiter zu beiden Seiten und soweit man links und rechts sehen konnte, in Flammen stehende, zusammengebrochene und zusammenbrechende Häuser. Meistens mussten wir die Räder tragen, da die Straßen mit Trümmerhaufen bedeckt waren. Dazwischen unübersehbare Mengen von Menschen, teils verkohlt. Alles tot. Und uns kamen immer mehr Flüchtlinge entgegen, mit Kindern an der Hand, Säuglinge auf dem Arm. Alles schwarz und aus entsetzten Augen starrend. Dazu der unheimliche Qualm, der die Stadt verdunkelt, dass man glauben musste, es sei nicht 10 Uhr vormittags, sondern mitten in der Nacht. Hier konnte selbst die Sonne nicht hindurch dringen. Bald links, bald rechts brachen Häuser zusammen oder die Häuserfronten legten sich langsam vornüber, um dann mit Krachen sich auf die Straße zu legen.

Die Hitze war bald unerträglich und dazwischen nun die armen Flüchtlinge, vor allem die armen Kinder, denen selbst der Anblick der Toten nicht erspart blieb. Bis Berliner Tor waren wir gekommen, nicht ein einziges Haus, das verschont geblieben war, aber nun ging es nicht mehr weiter. Vor uns eine bald undurchdringliche Qualmwand und alles rot von Glut. Auf dem zerstörten Bahndamm ging es nun weiter Rothenburgsort entgegen.

In die Innenstadt zu gelangen, war unmöglich. Der Bahndamm war an vielen Stellen ins Rutschen gekommen, die Schienen hingen in der Luft. So balancierten wir bis zum Bahnhof Rothenburgsort. Ich stand nun bald vor den Trümmern des Hauses, unter denen mein Rad begraben war. Nun kehrte ich durch die Trümmer der Industrieanlagen weiter bis Billbrook und weiter über Bergedorf zurück nach Aumühle. Gegen 5 h war ich im Hause. Ob in Hamburg noch Menschen wohnen, weiß hier keiner. Die Gas- und Elektrizitäts-Werke waren jedenfalls ausgebrannt. Die Zahl der Toten nicht abzuschätzen, ganz abgesehen von der großen Anzahl der Verwundeten. So sieht der totale Krieg in der Praxis aus. Alle, die dieses miterlebt haben, glauben und hoffen auf einen Schluss des Krieges in kurzer Zeit. Sämtliche Werften in Hamburg sollen in Trümmern liegen, erfuhr ich von einem Angehörigen der Marine.

So viel für heute. Jetzt zum Schluss eine dringende Bitte Deiner Eltern: Melde Dich auf keinen Fall mehr zu irgendeiner Waffe oder zu irgendeinem Unternehmen freiwillig. Du bist dies Deinen Eltern und Dir selbst schuldig! Es würde dies in dieser furchtbaren Zeit, die wir erlebt haben und die uns noch bevorsteht, die einzige Beruhigung sein.

Denn Du änderst am Ablauf des Krieges nichts mehr. Denke daran, dass Deine Eltern dir dies schreiben auf Grund ihrer Erfahrungen und Erlebnisse. Auch ich war ein alter Frontkämpfer und habe in diesem Kriege wieder in Hamburg meinen Mann gestanden.

Herzliche Grüße und alles Gute!

Schreibe uns umgehend wieder, diese Post wird als einzigste freie Strecke über Berlin gehen.

Papa“

Und hier folgt noch ein kurzer Ausschnitt aus einem Brief, den Paul Lamp’ls Frau an einen weiteren Sohn schrieb:

„Mein lieber Jochen!

Ich bin vollständig durcheinander. Das ganze Haus ist voller Menschen. In Großmutters Zimmer schlafen Tante Emmas Nachbarn, im Wohnzimmer schläft eine alte Frau, die uns zugeteilt wurde. Tante Emma schläft auf dem Boden. Nachts wir alle im Keller mit Moritz. Einer zittert noch mehr wie der Andere. Gott sei Dank ist Papa zu Hause. Wir mögen weiter nichts, als Euch wieder sehen. Wir sind auf alles vorbereitet. Alle Wäsche, Kleidung, Schmuck, Papiere, Geschirr, Silber ist alles im Keller auf den Apfelregalen untergebracht. Vielleicht ist es ja alles Wahnsinn.

Ich habe so schön vorgesorgt für Euren Besuch. Das kann doch nicht sein. Gute Nacht mein Jochen. Herzliche Grüße von Mama“